2016
haben die Niederlande einen systematischen Abbauplan veröffentlicht, der
konkrete Meilensteine und Maßnahmen umfasst, wie ein schrittweiser Ausstieg aus
dem System Tierversuch gelingen kann – das zeigt: wo ein Wille ist, da ist auch
ein Weg! I
Die
USA haben 2019 angekündigt, ebenfalls einen Ausstiegsplan zu entwickeln. Bis 2035 sollen
Giftigkeitstest an Säugetieren vollständig durch verlässliche tierfreie
Methoden ersetzt werden. Die Richtlinie wurde von der US-Umweltbehörde EPA im September vorgelegt
und sie begründet diesen Schritt unter anderem mit der schlechten biologischen
Vorhersage von Tierversuchen. Sowohl die bereits bestehenden als auch die neuen
Methoden führen in kürzerer Zeit mit weniger Ressourcen zu gleichen oder oft
besseren Ergebnissen.
Der Toxikologe und Pathologe Dr. Herman Koëter ist Vorsitzender des niederländischen nationalen Komitees für den Schutz von Tieren (1), die für wissenschaftliche Zwecke verwendet werden. Als ausgewiesener Experte für Chemikaliensicherheit arbeitete er für die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und war Mitbegründer und wissenschaftlicher Direktor bei der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die Fortentwicklung tierversuchsfreier Technologien war ihm schon immer ein Anliegen. 1982 erhielt er ein Forschungsstipendium, um eine tierversuchsfreie Methode für den Augenreizungstest am Kaninchen zu entwickeln. Er gründete und leitete die Europäische Forschergruppe für Alternativen in der Toxizitätstestung (ERGATT) und ist Beiratsmitglied des Zentrums der Johns Hopkins University für Alternativen zu Tierversuch in Baltimore. 2018 sprach tierrechte mit ihm über den ambitionierten niederländischen Abbauplan für Tierversuche.
In unserem Beratungsbericht stellen wir fest, dass es tatsächlich möglich sein sollte, die Tierversuche im Bereich der gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen bis 2025 auslaufen zu lassen, sofern alle an der Sicherheitsbewertung von Chemikalien zuständig sind, das Programm sowohl politisch als auch finanziell unterstützen. Wir sind uns bewusst, dass dies ein ehrgeiziger und bisher beispielloser Plan ist. Aber wir glauben fest daran, dass es machbar ist. Die Umsetzung wird allerdings weder einfach noch unkompliziert und sie erfordert gemeinsame Anstrengungen, sowohl der europäischen Mitgliedsstaaten als auch der Regulierungsbehörden. Wir in den Niederlanden sind wir mehr als bereit, unseren Anteil dabei zu leisten.
In Anbetracht des rasanten Tempos, mit dem sich diese Technologie in den letzten zehn Jahren entwickelt hat und im Hinblick auf ihre tatsächliche Anwendung für spezifische Forschungszwecke glaubt NCad, dass diese tierfreien Innovationen in der Tat sehr vielversprechend sind. NCad ist der Meinung, dass die vielen neuen Methoden für sich gesehen nur geringfügig zur Sicherheitsbewertung von Chemikalien beitragen, erst in der Kombination können sie das ganze Bild darstellen. Die Lösung liegt also nicht in einem Eins-zu-eins-Ersatz, sondern in einem Gesamtübergang von verschiedenen innovativen und tierfreien Methoden, rechnerischen Ansätzen und menschlichen Daten. Es wird also nicht eine einzige Technologie alle möglichen Fragen beantworten können. Es gibt ja auch kein Tiermodell, das alle Forschungsfragen zuverlässig beantworten kann.
Es stimmt, dass Organ-Interaktionen und Kommunikation auf einem Chip noch nicht verfügbar sind. Aber vor drei Jahren gab es noch nicht einmal Organe auf einem Chip!
In Anbetracht der Geschwindigkeit des Fortschritts in diesem Bereich, vertrauen wir darauf, dass innerhalb von zehn Jahren alle Stücke des Puzzles verfügbar sein werden. Und sie werden darüber hinaus bessere Daten für die Sicherheitsprüfung liefern, als es bei den aktuell durchgeführten Tierversuchen der Fall ist.
Anstatt sich auf spezifische Gewebe oder Organkombinationen
zu fokussieren, konzentrieren wir uns bei der Sicherheit von Chemikalien auf
die Beantwortung der wissenschaftlichen Fragestellungen. Gegebenenfalls können
humane Daten und menschliches Material dazu beitragen, die Fragen zu
beantworten.
Wir wissen heute noch nicht genau, was in zehn Jahren benötigt wird. Vieles hängt von den physikalischen und chemischen Eigenschaften der zu testenden Chemikalie sowie von QSAR (2) und 3-D Vorhersagen (3) ab.
Obwohl es sich dabei um unterschiedliche Konzepte handelt, gilt für vac2vac (Zusammenschluss von 20 Einrichtungen zur Entwicklung und Validierung von tierversuchsfreien Verfahren für Human- und Tierarzneimittel) der gleiche Ansatz wie bei den Sicherheitstests für chemische Substanzen: Ein Gesamtübergang zu innovativen Technologien.
Der Beratungsbericht über den Übergang zur tierversuchsfreien Forschung wurde im Dezember 2016 veröffentlicht. Der niederländische Wirtschaftsminister, dem dieser Bericht übermittelt wurde, wird die Bildung von Untergruppen unterstützen, die realistische Forschungsziele in der erkenntnisorientierten und anwendungsoffenen Grundlagenforschung für die nächsten zehn Jahre festlegen sollen. Wir beabsichtigen, dass diese tierversuchsfreien Forschungsziele veröffentlicht und der Fortschritt überwacht wird. In jedem dieser Bereiche wird der internationale Kontext berücksichtigt.
Hier muss noch viel geforscht werden. Damit dies gelingt, muss mehr Forschungsförderung fließen. Wir sehen hier nicht nur die Regierung in der Pflicht, sondern auch andere Stakeholder, wie Tierschutzorganisationen und NGOs aus dem Bereich Umwelt-, Gesundheit- und Verbraucherschutz.
Die zuständigen Fachbereiche für die Hochschulausbildung in den Niederlanden werden aufgefordert, eine Vision bezüglich der tierverbrauchsfreien Innovationen für die nächsten zehn Jahre zu erstellen. In diesem Bereich hat sich in den letzten Jahrzehnten bereits viel getan. Der Tierverbrauch in der Ausbildung wurde durch Computermodelle, Lehrvideos und Dummys ersetzt. Bei der Ausbildung der nächsten Generation von Forschern und Lehrern ist es sehr wichtig, dass die kritische Reflexion über die Verwendung von Tieren aktiv in die Curricula einbezogen wird.
Alle diese Mittel wurden bereits oder werden derzeit umgesetzt. Der Schwerpunkt sollte auch auf den Austausch von Wissen, Transparenz und der internationalen Zusammenarbeit liegen.
Die Erstellung dieser Agenda wird voraussichtlich einige Monate nach der Aufstellung der neuen Regierung erfolgen.
Das Ziel, hier eine führende Rolle zu übernehmen, entspringt dem Ehrgeiz, Veränderungen einzuleiten und so zu einer Verbesserung der Situation beizutragen. Wir wollen den Übergang beschleunigen. Die Ausgangsituation in den Niederlanden ist günstig, weil der Landwirtschaftsminister, der für den Bereich Tierschutz verantwortlich ist, diesem Thema sehr zugetan ist.
Die Umsetzung hat bereits begonnen. Die Bereitschaft, Regeln und Vorschriften für regulatorische Tierversuche zu verfeinern, wächst. Der Wert der Daten aus der tierexperimentellen Forschung wird zunehmend in Frage gestellt. Jetzt scheint der richtige Zeitpunkt zu sein, um den nächsten gewagten Schritt einzuleiten, um den Übergang hin zu einer tierversuchsfreien Forschung zu beschleunigen.
(1) Nationales Komitee für den Schutz von Tieren (NCad): Jeder EU-Mitgliedstatt muss dieses Gremium einrichten. Das legt die EU-Tierversuchsrichtlinie 2010/63/EU in Artikel 49 fest und weist darauf im Erwägungsgrund 48 hin. In Deutschland heißt dieses Gremium Nationaler Ausschuss. Die Gremien wurden 2014 eingerichtet.
(2) QSAR = Quantitative Struktur-Wirkungs-Beziehung. QSAR beschreibt die quantitative Beziehung zwischen der chemischen Struktur eines Moleküls und seiner pharmakologischen, chemischen, biologischen, physikalischen Wirkung.
(3) Die dreidimensionale (räumliche) Struktur von Biomolekülen (Proteine, DNS oder RNS) bestimmt die Funktion und damit die Giftigkeit. Dies machen sich Forscher in Computermodellen zunutze.
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